Aufstellung von Stelen zum Gedenken an die Todesmärsche vom April 1945 im Westharz

Die sich des Vergangenen nicht erinnern,
sind dazu verurteilt,
es noch einmal zu erleben.
(George Augustin Nicolas de Santayana, 1863-1952)

Den Anstoß zu diesem Projekt gab der Wunsch ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora, durch Gedenksteine an die Fußmärsche im Rahmen der Auflösung des Lagers zu erinnern.

Historischer Hintergrund
Als sich Anfang April 1945 amerikanische Truppen der südlichen Harzregion näherten, versuchte man die KZ-Häftlinge, die in Rüstungsfabriken und auf Großbaustellen Zwangsarbeit verrichten mussten, in frontfernere Konzentrationslager, insbesondere Bergen-Belsen und Sachsenhausen zu überführen.
      So wurden in den ersten Apriltagen des Jahres 1945 "....allein im südlichen und westlichen Harzvorland aus dem
KZ Mittelbau-Dora und seinen zahlreichen Außenlagern zwischen Osterode und Sangerhausen über 40 000 KZ-Häftlinge nach Nordwesten in Marsch gesetzt. Vier Wochen später, bei Kriegsende, waren gut ein Viertel davon tot: verhungert, verdurstet, erstickt, erschlagen, erschossen, bei lebendigem Leibe verbrannt oder an Krankheiten (vor allem an Typhus) gestorben. Nicht ohne Grund nannte der britische Historiker Gerald Reitlinger die KZ-Evakuierungen <das letzte und schlimmste der von den Nazis im Kriege begangenen Massenverbrechen>. "

(Dr. Joachim Neander, zitiert aus einem im Jan. 1998 abgeschlossenen Manusript)


Diese Stele bei der Marktkirche in Clausthal markiert den Weg, auf dem 3500 Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora am 8.  April 1945 über den Harz getrieben wurden. Der Gedenkstein wurde am 24. September 2000 in Anwesenheit mehrerer überlebender Häftlinge eingeweiht, z. B. Louis Garniers (s. Zeitzeugen) oder des französischen Historikers André Sellier, der ausführlich von seinen persönlichen Erinnerungen an diesen Tag berichtete.
Durch Clausthal-Zellerfeld kamen auch ca. 450 Häftlinge des KZ Gandersheim, die vom 4. bis zum 7. April in west-östlicher Richtung nach Wernigerode und von da weiter nach Bitterfeld marschieren mussten (abgesehen von 8 km Bahnfahrt, Luftlinie Gandersheim - Bitterfeld über 150 km). Die völlig erschöpften Überlebenden hatten dann noch eine schreckliche dreizehntägige Bahnfahrt bis Dachau vor sich, wo schließlich nur 122 lebend ankamen.
Wernigerode war ebenfalls das Zwischenziel des Gewaltmarsches von ca. 800 noch "gehfähigen" Häftlingen der III. SS-Baubrigade; diese waren am 6. April von den KZ-Außenlagern in Osterhagen, Nüxei und Mackenrode nach Wieda aufgebrochen, sie marschierten von dort am 7. 4. nach Braunlage.

Während in der DDR seinerzeit schon sehr früh dies Geschehen aufgearbeitet und an geeigneten Stätten mit Gedenkeinrichtungen dokumentiert wurde, sind die weit umfangreicheren Ereignisse und Verbrechen, die sich auf der niedersächsischen Harzseite abspielten, vergessen und/oder verdrängt worden. Es ist das Verdienst von Dr. Joachim Neander aus Clausthal-Zellerfeld, zusammen mit Schülern; des Robert-Koch-Gymnasiums in Clausthal durch Archivrecherchen und Zeitzeugenbefragungen diese Ereignisse recherchiert und im Rahmen einer Dissertation publiziert zu haben. (Das Konzentrationslager Mittelbau in der Endphase der NS-Diktatur, Clausthal-Zellerfeld 1997)

Wer ist mit dem Projekt befasst?
Der Wunsch, mit Gedenkstelen an die Fußmärsche in den Landkreisen Goslar und Osterode zu erinnern, wurde an die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und an die "Arbeitsgemeinschaft Spurensuche in der Südharzregion"; herangetragen.
Die ArGe Spurensuche besteht seit dem April 1997 und ist eine Vereinigung von Heimatforschern/-innen und Wissenschaftlern der Landkreise Osterode am Harz, Nordhausen und Sangerhausen.

Die Arbeitsgemeinschaft strebte eine Kooperation mit den Berufsbildenden Schulen im Landkreis Osterode an, auch und besonders weil diese Märsche zu einem großen Teil auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Osterode stattfanden. Die Einbeziehung von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen wurde von den Vertretern der ehemaligen Häftlinge aus den Südharzer Konzentrationslagern begrüßt (Sitzung des Häftlingsbeirates am 03. Oktober 1999) auf Grund der Hoffnung, durch die Weitergabe der Erinnerungen an die nächsten Generationen eine Wiederholung der Verbrechen des NS-Regimes zu verhindern (s. auch dazu die Aussagen von David Salz am Ende der Seite).

Was wird verwirklicht?
Es sollen ca. 17 bis 20 Stelen zur Markierung der Strecken im niedersächsischen Harzgebiet aufgestellt werden:

  1. Osterode am Harz - Clausthal-Zellerfeld - Oker
  2. Wieda - Braunlage
  3. Gandersheim - Münchehof - Bad Grund - Clausthal-Zellerfeld - Braunlage

Bei den Stelen handelt es sich um von den Berufsbildenden Schulen im Rahmen des Unterrichts selbst hergestellte Betonsäulen mit der Grundfläche eines Dreiecks, oben angeschrägt, und mit einer Höhe von ca. 90 cm und einer Seitenstärke von 25 cm. Auf den beiden der Straße zugewandten Seiten werden Schriftzüge eingelassen: ein Dreieck als Symbol der Häftlingskennzeichnungen auf der KZ-Kleidung, darunter "APRIL 1945", senkrecht "TODESMARSCH".

Wo werden die Stelen errichtet?
Als Aufstellungsorte wurden in Zusammenarbeit mit Dr. Neander, der die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse beisteuerte, überwiegend Stellen besonderer Vorkommnisse (meist Erschießungen) ausgewählt.

Da die Todesmärsche auf den öffentlichen Straße abliefen, muss das Gedenken notwendigerweise diesen Spuren folgen; die Stelen müssen; von der Straße aus wahrgenommen werden können, aber ohne die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen.So muss z. B. vermieden werden, dass eine Stele zum Halten in einer gefährlichen Kurve einlädt.

Einbeziehung der Öffentlichkeit
Die Todesmarsch-Stelen sprechen nicht unmittelbar für sich. Man wird sie entlang der Straßen im Harz vereinzelt entdecken; ein räumlicher oder historischer Zusammenhang erschließt sich dabei noch nicht. Deshalb sollen für Interessierte zusätzliche Informationen gegeben werden und zwar:

  1. in einem Faltblatt, das insbesondere in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und in den Harzer Museen verfügbar sein soll;


  2. im Internet über die Seite der Arbeitsgemeinschaft Spurensuche (www.spurensuche-harz.de) und über diese Veröffentlichung der Klasse FG 00 a (BBS I Osterode) zum "Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus" und Links, z. B. auf der Homepage der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora;


  3. mit Hilfe von Informationstafeln in der Nähe der jeweiligen Stele, z. B. auf einem Parkplatz wie "Mittelberg" bei Clausthal-Zellerfeld (Planung für die weitere Zukunft) und


  4. einer Wandzeichnung an der Fassade des Bahnhofes Oker.

Seit dem Beginn der Verwirklichung des Projektes wurde die Öffentlichkeit in wechselnden Ausstellungen über die Todesmärsche und die Errichtung der Stelen informiert, so zuerst in den Berufsbildenden Schulen I und II in Osterode am Harz, später in Clausthal-Zellerfeld in der St. Salvatoris Kirche (begleitend zu der Gedenkveranstaltung am 24. September 2000) und in der Robert-Koch-Schule im Dezember 2000. Auch im niedersächsischen Landtag in Hannover (Vorstellung ausgewählter EXPO-Teilprojekte der BBS I Osterode) und während des Braunschweiger Lernforums Vostellung ausgewählter EXPO-Teilprojekte der BBS II Osterode) wurden die jeweils aktualisierten Ausstellungstafeln gezeigt.
Die Gedenkveranstaltung am 27. Januar 2001 in Walkenried und die am 23. April; 2001 in Oker anlässlich der Einweihung von Tafel und Stele am ehemaligen Bahnhofsgebäude (jetzt Jugendzentrum "Gleis 95") boten ebenfalls Gelegenheit zur Information. Im Juni und Juli 2001 ist die Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora zu sehen.

Das öffentliche Interesse wurde auch durch Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer der Todesmärsche und die entsprechende Berichterstattung in der regionalen Presse geweckt.
      Die jeweils anwesenden überlebenden Häftlinge äußerten ihre Befriedigung und ihren Dank insbesondere an die am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schüler. Wann immer es zeitlich möglich war, wurde die Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen der Jugendlichen mit den ehemaligen Häftlingen genutzt.
Die erste Stele zur Erinnerung an den Todesmarsch von Osterode nach Oker wurde am 11. Juli in Anwesenheit überlebender Häftlinge durch den Landrat des Landkreises Osterode am Harz mit öffentlicher Beteiligung eingeweiht. Eingeladen wurde dazu von den am EXPO-Projekt beteiligten Schülern und Schülerinnen der Berufsbildenden Schulen I und II in Osterode.

Die nächste öffentliche Steleneinweihung fand in Clausthal-Zellerfeld statt am 24. September 2000 im Rahmen der Präsentation des Buches "Zwangsarbeit im Raketentunnel. Geschichte des Lagers Dora" (zu Klampen Verlag, Lüneburg 2000) von dem ehemaligen Häftling und französischen Historiker Sellier, veranstaltet durch die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und den Verband der französischen Deportierten, Amicale des Déportés à Dora-Ellrich, Harzungen et Kommandos Annexes unter der Schirmherrschaft des Deutsch-Französischen Kulturrates.
Dafür wurden eine Stele in der Nähe der Clausthaler Kirche zur Erinnerung an den Marsch von Osterode nach Oker und eine weitere Stele vor der Zellerfelder Kirche zur Erinnerung an die Übernachtung der Gandersheimer Häftlinge in der Kirche aufgestellt. Aufstellung der Stelen und Organisation der öffentlichen Einweihung erfolgten in Kooperation mit dem Robert-Koch-Gymnasium und dem Verein Spurensuche Goslar.
      Die letzte Stele zur Erinnerung an den Fußmarsch wurde am 23. April 2001 am Bahnhof Oker eingeweiht in Anwesenheit einer größeren Gruppe ehemaliger Häftlinge bzw. ihrer Nachkommen aus Belgien und Frankreich, die sich wegen der Teilnahme am "Marsch des Lebens"; (Jugendliche aus Niedersachsen und Thüringen sowie ehemalige Häftlinge gingen gemeinsam eine Etappe des Todesmarsches von Wieda nach Braunlage und trafen sich zu ausführlichen Gesprächen.) im Harz befanden.Herr Garnier und Herr Mouton als Überlebende des Todesmarsches von Osterode nach Oker erinnerten neben anderen Zeitzeugen an die Ereignisse am 8. April 1945. Außer der Stele weist eine Kartenzeichnung mit erklärendem Text an der Bahnhofsfront auf das Geschehen hin.


 

"Ich spreche frei von Hass. - Ich hege gegen niemanden den Wunsch nach Rache. Ich gebe nur zu bedenken, dass die Anführer und Befehlsgeber ihr Handwerk nicht hätten ausführen können, wenn sie nicht die aktive Unterstützung von so vielen gehabt hätten...Vieles war öffentlich - wie man die Verhafteten aus den Wohnungen holte, was hier in Nordhausen getrieben wurde, oder die Transporte in Vieh- und Kohlewaggons, die ja offen waren.
      Erlaubt mir, dass ich meine verstörten Gedanken der Gegenwart zuwende und einige Folgerungen zu formulieren versuche. Da wir doch genauer als viele, viele andere wissen, was Todesängste sind, meine ich, dass wir eine Verpflichtung haben, in diese Welt zu schreien. Never again! Nie wieder!
      Auch wissen wir, dass wir viel zu schwach sind, die bestialische Brutalität, mit der sich Menschen allerorts verfolgen, zu mildern. Dennoch haben wir zumindest die Pflicht, wo immer es möglich ist, lautstark das fünfte Gebot anzumahnen: Du sollst nicht töten!"

Auszug aus der Rede des ehemaligen Häftlings David Salz zur Eröffnung eines Ehrenfriedhofes in Nordhausen (zit. nach: Frankfurter Rundschau, 27. Januar; 2000, S. 12)


 
 

 

Bilder und Text dieser Seite wurden von der "Arbeitsgemeinschaft Spurensuche in der Südharzregion" zur Verfügung gestellt.



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