Denk@nstoß

Lessings "Nathan" in unserer Zeit


Inszenierungsvorschlag

Sehr geehrter Herr Zurmühle,

Wir sind drei Schülerinnen eines Leistungskurses Deutsch am Göttinger Felix-Klein-Gymnasium. Im Zuge unseres Deutschunterrichts haben wir das Thema "Aufklärung" am Beispiel von Lessings Drama "Nathan der Weise" bearbeitet.
Aufgrund der Aktualität des Themas Rechtsextremismus haben wir uns überlegt, die Aussagen des "Nathan" in unsere heutige Zeit zu verlegen. Besonders die Jugend wollen wir mit der modernen Umsetzung des Stückes ansprechen und zum Nachdenken anregen. Fast täglich wird man in den Medien mit rechtsextremistischen Anschlägen konfrontiert und sogar in unseren Freundeskreisen sind faschistische Neigungen aufgetreten.
Die Aussage des "Nathan" lässt sich sehr gut auf die heutige Problematik übertragen. Unsere folgenden Vorschläge für eine Inszenierung sollen nur als Anregung dienen, eine genaue Ausarbeitung des Stückes ist mit unserem Wissen über die Umsetzungsmöglichkeiten eines Theaters selbstverständlich nicht möglich.
Voraussetzung ist erst einmal die Veränderung des Religions- in einen Rassenkonflikt. Anstatt von Juden, Moslems und Christen sollen Schwarze, Weiße etc. die gegenüberstehenden Parteien bilden. Wir haben uns überlegt, die Handlung nicht in einem bestimmten Land spielen zu lassen, da derartige Ausschreitungen auf jedes Land übertragbar sind.
Die Bühne stellen wir uns zunächst schwarz vor, mit einer großen dunklen Leinwand im Hintergrund. Am Anfang des Stückes werden in schneller Abfolge Bilder der Auswirkungen des Faschismus gezeigt, untermalt von Hilfe- und Schreckensschreien und rechtsextremistischen Parolen. Die Bilder verblassen und werden langsamer, die Laute verstummen allmählich. Plötzlich wird deutlich, dass die Bühne nicht leer ist, sondern ein Mann, nämlich Nathan (schwarze Hautfarbe), am Rand der Bühne steht und sich mit dem Verstummen des Films langsam zum Publikum umdreht. Zynisch beginnt er die Aussage der Ringparabel zu zitieren:

"Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach - Leere Worte, nicht mehr. Mein ganzes Leben hab' ich versucht, den Menschen klarzumachen, dass es nicht auf Religion, Hautfarbe oder Rasse ankommt. Keine Rasse ist besser als eine andere. Doch anstatt sich durch Toleranz und Menschlichkeit auszuzeichnen und sich dadurch als etwas Besonderes zu erweisen, liefern sie sich erbitterte Schlachten und finden keinen Weg aus ihrem Hass und ihrer Gewalt. Die Menschen werden auf Äußerlichkeiten reduziert, ihr Charakter, ihre Eigenheiten und ihre Persöhnlichkeiten werden dabei völlig außer Acht gelassen. Sie verlieren sich vollkommen in ihrem Hass, in ihrer blinden Wut vernichten sie alles, ganz gleich ob auch Frauen oder unschuldige Kinder. Sie merken nicht, dass sie damit letztendlich sich selbst vernichten. Mittlerweile herrscht grenzenloser Krieg zwischen den Rassen, das Ganze hat ungeahnte Ausmaße angenommen, wie diese Bilder zeigen...Niemand weiß wie man diese zerstörerische Gewalt noch stoppen kann, selbst Politiker sind machtlos geworden und verlieren sich in bedeutungslosen Reden!..."

Diese Anfangsszene ist bloß ein Ansatzpunkt für die weitere Bearbeitung des Stückes, damit Sie eine Einsicht bekommen, wie wir uns eine mögliche Inszenierung vorstellen könnten. Die im "Nathan" behandelte Thematik von Intoleranz und Inhumanität gegenüber fremden Religionen und Rassen ist heute wie damals noch immer präsent. Überhaupt ist die Person Nathan höchst bewundernswert, da er durch seinen Mut und durch sein religionsübergreifendes Verständnis deutlich aus der Masse sticht. Obwohl durch das von Christen verursachte Massaker seine gesamte Familie umkommt, findet er schließlich seinen Lebensmut und seinen Glauben an ein friedliches Zusammenleben aller Völker wieder.
Die uns bekannten Inszenierungen des Stückes spielen alle in der damaligen Zeit während der Kreuzzüge. Deswegen dachten wir, dass es interessant und auch spannend wäre, die Umsetzung des "Nathan" in einer modernen Ausarbeitung darzustellen.
Wir hoffen, wir konnten mit unseren Anregungen und Ideen Ihr Interesse wecken, und wir würden uns sehr über Ihre Meinung zu unseren Vorschlägen freuen.

    Mit freundlichen Grüßen,
      Patrizia Klossek
      Stefanie Wattenberg
      Katharine Apostle



Inszenierung am Schauspielhaus Bochum 1981: Traugott Buhre als Nathan und Gert Voss als Saladin
aus: Ekkehard Mittelberg (Hrsg.): Klassische Schullektüre. G.E.Lessing. Nathan der Weise. Berlin, 1997, S.80/81